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Das Versprechen - Ein Live Adventure Experiment
Vom: 20.05.2016

Das Versprechen - Ein Live-Adventure-Experiment

Zwei Dinge fehlen den meisten klassischen Adventures: Die Möglichkeit, in der Gruppe Rätsel zu lösen und eine Geschichte, die in Echtzeit abläuft, Entscheidungen direkt abverlangt und so mehr Spannung aufbaut. Mit den modernen Kommunikationsmitteln können theoretisch Spieler auf der ganzen Welt und per Smartphone auch ortsunabhängig zusammengetrommelt werden. Doch wie kann so ein Live-Adventure aussehen? Ich habe dazu einen Versuch namens Das Versprechen gestartet. Meine Erfahrungen möchte ich in diesem Feature teilen, für interessierte Mitspieler und potentielle Nachmacher.

Technik

Das Spiel über einen Messenger laufen zu lassen, schien die sinnvollste Variante. Ich verfüge nicht über ausreichende Programmierkenntnisse, um eine App zu erstellen, die PC- und mobile Systeme miteinander verbindet - geschweige denn um einen sicheren Server zu erstellen und zu verwalten, über den die Kommunikation läuft.
Meine Wahl fiel auf Telegram, da die App kostenlos für PC, Android, Browser, iOS und Windows Phone verfügbar ist und eine ordentliche Verschlüsselung bietet. Außerdem ist der Umgang mit der App recht intuitiv. Zudem können sich theoretisch hunderte von Nutzern in die Gruppe einklinken. Auf die Probleme mit Telegram gehe ich im Abschnitt "Herausforderungen" näher ein.

Schreiben für Live-Adventures

Ähnlich wie ein Spielleiter einer Pen-and-Paper-Rollenspielgruppe gilt: Vorbereitung ist alles. Den ersten Teil von "Das Versprechen" habe ich in etwa 12 Arbeitsstunden akribisch vorbereitet. Die Vorbereitung lässt sich in folgende Abschnitte unterteilen:

Charakterdesign
Die Hauptperson, die mit den Spielern über den Chat in Kontakt tritt, ist der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Live-Adventures. Entsprechend viel Zeit habe ich in ihre Vorbereitung fließen lassen. Ich habe eine komplette Biografie ausgearbeitet, inklusive des Konflikts, der im ersten Teil ans Licht kommen sollte: Als U-Bahnfahrer hat der Protagonist Ingo (unabsichtlich) ein 14-jähriges Mädchen überrollt. Auch über diese Ereignisse hinaus war die Figur komplett ausgearbeitet (Single, kinderlos, 54 Jahre alt, wenig technikaffin, keine Ahnung von Rätseln, usw.). Denn welche Fragen die Mitspieler stellen, lässt sich nicht vorhersagen. Und nur mit einem klaren Bild von der Figur im Kopf lässt sich realisitisch schreiben. Das ist besonders für weitere Episoden mit anderen Charakteren relevant, damit sich die Figuren gut genug voneinander unterscheiden. Obwohl die Textebene sehr reduziert ist, soll dennoch eine Persönlichkeit durchschimmern. Das geht nur, wenn der Charakter zuvor klar umrissen und ausgearbeitet wurde.

Umgebung
Insgesamt gab es im ersten Teil sieben unterschiedlich große Räume und Gänge. Alle habe ich zuvor aufgezeichnet. Damit die Mitspieler stets den Überblick behalten, wo sie sind und wie es dort aussieht (eine ohnehin schon sehr schwierige Aufgabe aus Spielersicht), muss ein kurzer Blick auf einen Plan für den Spielleiter genügen, um die Umgebung auf Nachfrage exakt beschreiben zu können. Das ist besonders für die Verknüpfung mit den Rätseln wichtig. Bei der Planung habe ich zuerst die Räume entworfen und danach die Rätsel integriert. In zwei Fällen habe ich die Räume dann noch einmal modifiziert, um sie besser an Aufgaben anzupassen.
Der Schauplatz war etwas Besonderes: Die Geschichte spielte sich auf einem Schiff ab, das im Verlauf der drei Tage auf den Meeresgrund absank. Mir war es wichtig, dass dieser Umstand eventuell schon vorher erkannt werden kann, daher habe ich auch Hinweise auf die Umgebung und dortige Ereignisse (metallisches Knarzen, Wassereinbruch, Schwanken und Druck auf den Ohren nach dem Versinken) fest in meinen Zeitplan (s. nächster Punkt) eingebaut. Interessanterweise gab es erst sehr spät Teilnehmer, die diese Informationen kombiniert haben.

Der Zeitplan
Beim Erstellen des Zeitplans war mir wichtig, dass bestimmte Dinge zu bestimmten Zeiten passieren können, aber nicht müssen. Nur sehr wenige Elemente (Wassereinbruch, Sinken des Schiffes) waren zu einer ganz bestimmten Zeit festgelegt. Bei den Rätseln habe ich zwar versucht, das Pensum für die Stunde gut schaffbar zu halten, doch es hätte auch gut passieren können, dass die Spieler schneller oder deutlich langsamer durch die Räume kommen.

Verschiedene Enden
Dieser Teil der Vorbereitung hatte natürlicherweise die schlechteste Kosten-Nutzen-Rechnung: Schließlich wird nur ein Ende letztlich ausgelöst, denn jede Geschichte kann bei der direkten Erzählung auch nur einen Ausgang haben. 21 Enden waren vorbereitet, tatsächlich waren täglich sieben Enden möglich. Das reichte von der Vorhersage unwahrscheinlicher Ereignisse (etwa, dass die Teilnehmer eine Lampe auseinander nehmen, die anschließend im Wasser einen tödlichen Stromschlag verursacht) zu nahegliegenderen Dingen wie etwa das Scheitern an einem Rätsel oder das unvorsichtige Auslösen einer tödlichen Falle.

Rätsel
Neben der Erzählung spielen natürlich auch die Rätsel eine wichtige Rolle in Adventures. Hier habe ich versucht, am Ende des Tages eine etwas aufwendigere Aufgabe zu stellen, die bis zum nächsten Abend eine Brücke herstellt. Ansonsten gab es klassische Escape-The-Room-Rätsel. Letztlich musste eine Zahlenkombination gefunden werden, um die nächste Tür zu öffnen. Das war für den ersten Teil in Ordnung. Für weitere Teile ist hier aber mehr Kreativität gefragt, zumal ich als Autor nicht an die Begrenzungen von Escape-Games gebunden bin. Wie etwas technisch genau funktioniert, muss nicht exakt ausformuliert sondern nur generell plausibel sein.

Generelles
Auch wenn das im Spiel an manchen Stellen notwendig werden könnte: Im Idealfall muss nur wenig improvisiert werden. Wenn alle Elemente ausreichend vorbereitet wurden, kann schnell auch auf nicht direkt erwartete Ereignisse reagiert werden. Im ersten Teil habe ich auch recht wenig spontan gelöst, das Meiste ist wie erwartet eingetreten.

Hilfreiche Tools
Neben Photoshop für vergilbte Zeitungsartikel und weitere Rätselbilder hatte ich das Autorentool Scrivener im Einsatz. Normalerweise verwende ich das zum Schreiben meiner personalisierten Krimidinner, aber auch für diese Adventure eignet sich das Programm perfekt.

Herausfoderungen


Telegram
1) Als Mitglied der Gruppe postet Telegram immer unter dem eigenen Namen. Zwar kann ein Nutzername festgelegt werden, der wird aber offensichtlich von Instanzen ignoriert, die mich bereits in der Kontaktliste hatten. Dort blieb der ursprüngliche Name bestehen. Eine Lösung wäre der Kauf einer weiteren SIM-Karte, um doch einen anderen Namen in der Gruppe haben zu können. Ich habe mich der Einfachheit halber entschieden, die Namensverwirrung einfach in die Geschichte zu integrieren. Während im ersten Teil der Geschichte verständlicherweise niemand näher nachgefragt hatte, spielt der Name in der zweiten Episode eine größere Rolle.
2) Entgegen der Aussage von Telegram sind Supergruppen nicht automatisch stummgeschaltet. Das Smartphone überschütten teilnehmende Spieler daher mit Nachrichtenupdates, sollten sie während des Spiels den Chat nicht offen haben. Die einzige Lösung für die Teilnehmer ist hier, den Chat über das Menü stummzuschalten. Ein ärgerlicher Punkt, den ich jedoch nicht beeinflussen kann.

Spielsteuerung
Wie weit kann der Spielleiter die Ereignisse beeinflussen, ohne den Spielern das Gefühl zu geben, sie seien in ihrer Freiheit eingeschränkt? Ein schwieriger Punkt, der mich selbst auch bei vielen Spielen ärgert: Erst wird komplette Entscheidungsfreiheit suggeriert, dann läuft alles doch auf mehr oder weniger den selben Ausgang hinaus oder in entscheidenden Momenten übernimmt das Spiel die Steuerung. Das ist die große Chance des Live-Adventures, hier ist tatsächlich alles offen. Ich habe mich lediglich am dritten Tag entschlossen, beim Finale ein wenig einzugreifen und den Protagonisten zeitig etwas erkennen zu lassen, was für den weiteren Verlauf wichtig war. Das war notwendig, um das Tempo und die Spannung aufrechtzuerhalten und eine faire Chance für das Erreichen eines der beiden positiven Enden zu bieten. Dem Feedback nach zu urteilen hat auch das gut geklappt, was ein wenig mit der Charakterentwicklung zu tun hatte: Inzwischen war es auch glaubwürdig, dass der Protagonist wusste, wie der Hase läuft und auch selbst etwas auf die Reihe bekam. Allerdings bringt die Freiheit des Live-Adventures ein weiteres Problem mit sich:

Freiheit heißt auch, dass das Spiel ein kurzes Vergnügen werden kann
Theoretisch hätte das gesamte Experiment nach nur etwa 20 Minuten vorbei sein können. Generell kann eine unkluge Entscheidung, ein zu schweres Rätsel oder eine Mehrheit der Gruppe das Live-Adventure sehr früh zu Ende bringen. Letztlich hatte ich Glück mit den Teilnehmern und dem Design, denn der erste Teil lief komplett drei Abende durch. So kam ich auch nicht in die Verlegenheit, über einen Eingriff in die Geschichte nachdenken zu müssen. Denn gerade bei der ersten Veranstaltung ist ein Erfolg eine große Motivation für eine Fortsetzung. Dennoch hätte ich die Geschichte auch bereits ab dem frühesten Zeitpunkt beendet. Rückblickend würde ich aber eher empfehlen, den ersten Teil mit Sicherheitsreaktionen zu versehen, um die Geschichte zu erhalten. Also genau das, was ich vorhin an Spielen kritisiert habe, die Entscheidungsfreiheit nur vortäuschen. Aber für einen gelungenen Einstieg ist diese Vorgehensweise nicht zu ersetzen. Eine charmante Variante ist hier ein Plan B: Endet die Geschichte vorzeitig, ist eine weitere vorbereitet, die bis zum Ende des Live-Adventures durchhält (etwa ein Kommissar, der den Ort des Geschehens aufsucht). Eine Idee, die mir erst beim Vorbereiten des zweiten Teils kam, und hier nun fest eingebaut ist.

Teilnehmerzahl
Im Chat geht es schnell drunter und drüber. Es war mir zwar möglich, immer den Überblick zu behalten, für die Spieler schien das aber schon deutlich schwieriger. Mit etwa 10 aktiv tippenden Teilnehmern pro Session (ob Spieler nur mitgelesen haben, weiß ich nicht) liefen die Abende optimal ab. Vermutlich verkraftet das Spiel noch mehr, doch die gut funktionierende Anzahl an Teilnehmern ist definitiv nach oben begrenzt. Eine Lösung wäre, Teilnehmer in verschiedene Gruppen zu stecken – dann erlebt aber jede Gruppe auch etwas anderes und kann sich durch Austausch gegenseitig helfen. Reizvoll und für das Spielerlebnis gefährlich zugleich.

Finanzielles
Ein solches Live-Adventure lässt sich meiner Meinung nach nur sehr schwer monetarisieren. Abgesehen davon, dass zunächst rechtlich geklärt werden müsste, ob mit Telegram Geld verdient werden darf (sicherlich wäre eine eigene App besser), dürfte die Zahlungsbereitschaft sehr gering sein. Zwar hat das Spiel ein Alleinstellungsmerkmal, bringt aber zeitgleich einen gewissen Zeitdruck mit sich und kann nur einmal gespielt werden. Alle potentiellen Käufer würden sich zunächst fragen, was denn passiert, wenn sie mal einen Abend nicht dabei sein können. Und außer "nachlesen" fällt mir derzeit keine gute Antwort ein. Ein Risiko, das die Investitionsbereitschaft sicher weiter senkt.
Live-Adventure dieser Art sind also – wie der Rest von Adventure-Treff – ein Hobby, wenn auch möglichst professionell gestaltet. Derzeit habe ich zwei weitere Teile der Trilogie "Das Versprechen" und ein alleinstehendes, etwas anderes Live-Adventure in Planung, danach mache ich erst einmal Pause. Die ganze Veranstaltung ist immer noch ein Experiment, das hoffentlich einigen Teilnehmern viel Freude macht. Ob es sich aber mit der Zeit stark abnutzt, trotz Variationen in der Erzählweise und der Rätsel, wird sich zeigen.