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Vorschau

von  Jan "DasJan" Schneider
03.08.2007
Treasure Island
Am vergangenen Dienstag war Adventure-Treff.de zu Gast auf der Reeperbahn in Hamburg. Dort haben wir nicht neue Möglichkeiten recherchiert, unsere redaktionelle Weihnachtsfeier zu gestalten, sondern Publisher HMH einen Besuch abgestattet, der kürzlich die Stevenson-Umsetzung Treasure Island angekündigt hat. Die zur Langenscheidt-Verlagsgruppe gehörende Firma war bisher im Spielesektor nur als Vertriebspartner für fremde Titel aktiv, jetzt hat man aber auch damit begonnen, eigene Titel zu entwickeln und entwickeln zu lassen. Die Spiele-Abteilung des Publishers leitet als "Head of Games Development" Egbert Latza, der bis Anfang 2007 Producer bei dtp war.
Als erste Redaktion durften wir bei HMH eine frühe Version von Treasure Island anspielen, zu der wir auch Thomas Möhring von Entwickler Radon Labs befragen durften. Außerdem konnten wir einige Konzeptzeichnungen sehen, von denen wir ein paar an dieser Stelle veröffentlichen dürfen. Neue Screenshots sowie die Zeichnungen befinden sich auch in den entsprechenden Galerien.
Egbert Latza (HMH) und Thomas Möhring (Radon Labs).

Frischer Wind in den Segeln

Das Ziel der Produktion ist es, die bekannte Abenteuergeschichte von Robert Louis Stevenson möglichst originalgetreu nachzuerzählen. Da eine Abenteuergeschichte allein noch kein Adventure macht, mussten die Entwickler aber allerlei Rätsel und Inhalte dazuerfinden, ungeeignete Stellen wegkürzen sowie dramaturgische Änderungen vornehmen. Dazu gehören auch völlig neue Charaktere: So trifft man im Spiel auf die kesse Seefahrerbraut Antoinette Trewlaney, die sicher nicht zufällig an Elizabeth Swann aus Fluch der Karibik erinnert. Ein quirliges Zusammenspiel zwischen Antoinette und Protagonist Jim Hawkins wird wohl unausweichlich sein.
Auch andere Charaktere könnten vom Aussehen her der erfolgreichen Piraten-Trilogie aus Hollywood entsprungen sein. Das liegt wohl nicht zuletzt auch daran, dass die sich wiederum ausgiebig bei Stevensons Werk bedient.
Trotz neuer Elemente bleibt der Grundaufbau der Story eng an der Vorlage. Dem 17-jährigen Jim Hawkins fällt durch Zufall die geheimnisvolle Schatzkarte eines Piraten in die Hand. Mit der Hilfe von Freunden sucht er sich eine improvisierte Crew zusammen, um per Schiff zur Schatzinsel aufbrechen zu können. Nicht alle Crew-Mitglieder sind jedoch aufrechte, loyale Seemänner - manch einer würde den Reichtum lieber für sich alleine haben. Ein Wettrennen um den legendären Schatz des Captain Flint beginnt...

Schöne Jünglinge

Der Spieler steuert dabei Jim Hawkins, der in den aktuellen Konzeptzeichnungen recht androgyne Züge zeigt. Für das Gesicht stand der junge Indiana Jones alias River Phoenix Pate. Auch die Störrischkeit scheint zumindest der Konzept-Jim von diesem Vorbild geerbt zu haben. Auf den Screenshots ist noch ein Dummy-Modell zu sehen. Den finalen Jim, wie er im Spiel aussehen wird, konnten auch wir noch nicht sehen.
Für den Feinschliff der Texte haben die Entwickler Falko Löffler engagiert, der auch bei den Deck13-Titeln Koautor war und sich immer wieder über subtile Schleichwerbung für seinen ersten Fantasy-Roman Drachenwächter freut (auch als Hörbuch).
Das Spiel beginnt an der Küste Englands.

Verliebt in die Grafik

Schon mit dem ersten Blick auf das Spiel wird deutlich, dass Treasure Island nichts mit Verliebt in Berlin zu tun hat, dem bisher einzigen Adventure von Radon Labs. In der Tat bestätigt uns Thomas Möhring, dass sich im Treasure-Island-Team kein einziger ViB-Entwickler befindet. Das neue Radon-Adventure wird komplett in Echtzeit-3D dargestellt und verwendet die aufgebohrte Nebula-Engine, die bei dem Entwickler seit fast 10 Jahren im Einsatz und damit entsprechend etabliert ist. Auch das DSA-Rollenspiel Drakensang, das Radon Labs für dtp entwickelt, setzt auf dieser Technologie auf.
Statt auf Comicstil setzt Treasure Island auf Realismus. Die Szenerien sind dabei sehr detailliert gestaltet, Matschtexturen oder allzu eckige Rundungen konnten wir jedenfalls keine entdecken. Stellenweise sieht das, was Radon Labs hier in Echtzeit auffährt, besser aus als manches vorgerenderte Mittelklasse-Adventure. Ein erfreulich realistisches Licht- und Schattenspiel, schicke Partikeleffekte und andere Engine-Features tun da ihr Übriges. Natürlich werden Adventurefreunde ohne modern ausgerüsteten PC auf manches Grafik-Schmankerl verzichten müssen.
Dank 3D-Technik ist auch Bewegung im Bild kein Problem. Die Umgebungen sind schon jetzt reichhaltig animiert, die Flora wiegt sich im Wind, Vögel fliegen durch die Luft. Besonders gelungen wirkt hier das Kapitel, das auf der Hispaniola spielt. Das Schiff schwankt nämlich in Gänze hin und her, was man sowohl an Deck als auch im Inneren deutlich merkt. Dort macht die Kamera ein wenig von der Wellenbewegung mit, sodass man nie vergisst, dass man sich auf einem Schiff befindet. Die Präzision der Steuerung scheint darunter nicht zu leiden.
Den Vogel schießt eine kurze Szene ab, in der das Schiff in einen Sturm gerät. Während heftiger Wellengang die Hispaniola hin- und herwirft, Wassermassen über die Reling stürzen und starker Regen das Deck überschwemmt, muss sich Jim Hawkins durch das Unwetter zum Bug kämpfen. Das Spiel greift dabei tief in die Trickkiste und brennt ein wahres Effektfeuerwerk ab. Zwar scheint spielerisch wenig hinter derartigen Szenen zu stecken, die Inszenierung ist aber schon in dem unvollständigen Video, das wir sehen konnten, spektakulär.
Der Regen schlägt auf's Deck......Blitze zucken durch's Unwetter......und die Wellen schießen über die Reling.

Charakterliche Ungewissheit

Was wir noch nicht beurteilen können, sind die Charaktere. Es gibt zwar bereits schicke Konzeptzeichnungen für die finalen Figuren, die spielbare Version, die wir gesehen haben, enthielt aber noch Dummy-Modelle wie den von den Screenshots bekannten Jim Hawkins. Offenbar planen die Entwickler für die gewöhnlichen Dialoge keine Nahaufnahmen der Gesichter. Die sind zwar grundsätzlich fähig zur Darstellung verschiedener Gesichtsausdrücke, ob sie jedoch detailliert genug sein werden, um am Ende glaubhaft Emotionen zu transportieren, bleibt abzuwarten.
Immerhin hat man ein Londoner Studio beauftragt, für Ganzkörper-Animationen reale Schauspieler abzufilmen. Die ersten Motion-Capturing-Animationen sehen schon sehr überzeugend aus. Glaubwürdigkeit soll auch ein "NPC-Behaviour-System" schaffen. Das sorgt dafür, dass andere Charaktere nicht immer an derselben Stelle stehen, sondern dem Spieler mal hier und mal da begegnen. Muss man gerade jemand Bestimmten sprechen, ist er aber jeweils da zu finden, wo man ihn erwartet. In Aktion konnten wir das Behaviour System allerdings noch nicht sehen.
Wer den Spielfiguren seine Stimmen leiht, steht noch nicht fest. HMH will aber nicht auf die "Stimme von..." setzen, sondern weniger bekannten Profisprechern den Vorzug geben. Musikalisch konnten wir schon einen sehr guten Eindruck der kraftvoll-orchestralen Intromusik mitnehmen.

Infokasten

Die Charaktere


Antoinette Trelawney ist die Tochter des Gutsherren Squire Trelawney. Anhand gewisser Zickigkeiten erkennt man ihre Herkunft aus gutem Hause, wenn es darauf ankommt, kann das verwöhnte Töchterchen aber auch mal mit anpacken. Auf der Reise zur Schatzinsel entdeckt die 17-Jährige ihre abenteuerlustige Seite.

Der blinde Pew ist ein alter Pirat, der die Piratenmeute in Bristol anführt. Mit deren Hilfe will er an die legendäre Schatzkarte kommen, die sich in Jim Hawkins' Händen befindet. Trotz seines gebrechlichen Auftretens wirkt er sehr bedrohlich. Im Buch wird er wie folgt beschrieben: "Nie in meinem Leben hatte ich eine schrecklichere Gestalt gesehen, […] noch nie eine Stimme von solcher Grausamkeit und Kälte gehört."

Der Spielerkönig wird, genau wie Antoinette, als neue Figur eingeführt. Im Silvers Pub sitzt er am Würfeltisch, wo Jim ihn für seine Schatzsuche rekrutieren muss. Doch kann er dem Schlitzohr vertrauen?

Volle Kraft voraus

Spielerisch strebt Radon Labs klassisches Point & Click an. Die Steuerung funktioniert ganz ähnlich, wie sich das bei Ankh etabliert hat. Ein alternativer Steuermodus, in dem Jim Hawkins immer auf den Mauszeiger zuläuft, solange die linke Maustaste gedrückt ist, wird gerade diskutiert. Für die Rätsel sind die üblichen Inventarknobeleien und einige Logikpuzzles geplant. Da Pixelhunting für Thomas Möhring kein Rätseltyp ist, wird auch eine Hotspot-Anzeige eingebaut. Inventargegenstände können in einem 3D-Inventar gedreht und gezoomt werden, sodass z.B. auf der Rückseite eines Objektes neue Informationen gefunden werden können.
Treasure Island soll bereits für's Weihnachtsgeschäft 2007 fertig werden. Egbert Latza betont aber, dass der Termin nicht in Stein gemeißelt ist. Sollte das Produkt am Jahresende nicht so rund sein, wie man sich das wünscht, verschiebt sich Treasure Island ins kommende Jahr. Die Käufer will HMH mit einer aufwändigen Klappbox mit Prägung und inliegender DVD-Hülle belohnen. Eventuell soll es sogar noch ein zusätzliches Goodie geben, hier sind die Planungen aber noch nicht abgeschlossen.
Mit seinen 6 Kapiteln unterschiedlicher Größe wird Treasure Island wohl kein besonders großes Spiel, die Ambitionen sind aber da, die Spielzeit mit einer sehr dichten Atmosphäre zu füllen. Gerade die hervorragende Szenengrafik wird hier sehr hilfreich sein. Wenn Radon Labs wirklich den Weihnachtsmarkt anpeilt, dürften allerdings noch einige Nachtschichten bevorstehen. Die gezeigte Version war in mancherlei Hinsicht noch sehr unfertig. Hoffentlich nimmt sich Radon Labs die Zeit für den nötigen Feinschliff.

Sieht gut aus