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Test

von  Topsy-Sophia Schmitt
09.05.2019
Photographs
Getestet auf Windows, Sprache Deutsch
85%

Als Luca Redwood im Jahr 2011 die unabhängige Spieleschmiede EightyEightGames gründete, fühlte er sich besonders dem experimentellen Gamedesign verpflichtet. Dies machte sich bereits durch ungewöhnliche Titel wie You Must Build A Boat oder 10.000.000 bemerkbar. Im vergangenen April veröffentlichte der britische Entwickler mit Photographs sein bisher aufwendigstes Werk, das in Zusammenarbeit mit dem Videospielkomponisten Ben Prunty (Into the Breach, Dead Secret) sowie dem Pixelkünstler Octavi Navarro (Thimbleweed Park, Midnight Scenes) entstanden war. Wir haben eine Weile im interaktiven Fotoalbum geblättert und möchten euch nun unsere Eindrücke schildern.

Das erste Diorama: Hier lebt der Alchemist mit seiner Tochter Cleo

Interaktives Drama in fünf Akten

Am Rande des Waldes ist das Haus des Alchemisten gelegen, der dort mit seiner Tochter Cleo und ihrer Katze Tiggy ein unbeschwertes Leben verbringt. Der Handel mit Tränken und Kräutern gedeiht, da der bärtige Mann seit jeher das Vertrauen der Dorfbewohner genießt. Eines Tages jedoch wendet sich das Blatt und die bislang ungetrübte Familienidylle droht zu zerbrechen. Das strahlende Lächeln des Mädchens weicht der Erschöpfung, denn das Kind ist von einer schrecklichen Seuche betroffen. Um die kleine Cleo vor dem Tode zu bewahren, widmet sich der verzweifelte Vater sogleich der langwierigen Suche nach einem Heilmittel.
So beginnt die erste von fünf traurigen Kurzgeschichten, deren weiteren Verlauf wir nicht vorwegnehmen möchten. Der jeweilige Protagonist schlüpft dabei stets in die Rolle des Erzählers. Im zweiten Kapitel etwa berichtet eine junge Dame von ihrer Karriere als Turmspringerin und den Schattenseiten des Erfolges. Später schildert ein friedliebender Ureinwohner namens Atami, wie Kolonisten aus der westlichen Welt in seine Heimat eindrangen.
Diese Einzelschicksale sind letztlich miteinander verwoben. Es bestehen also Parallelen, selbst zwischen dem Chefredakteur einer Zeitung und der Magierin, die ihre Hellsichtigkeit zum Abwenden von Unglücksfällen gebraucht.

Die Einheimischen lebten stets glücklich, bis die Kolonisten eines Tages den Frieden störten

Fehlerkorrektur für gescheiterte Existenzen

Was jene tragischen Helden miteinander verbindet, ist die zermürbende Erkenntnis, einen folgenschweren Fehler begangen zu haben – sei es aus Liebe, Furcht oder dem Ansinnen, jemandes Erwartungen zu erfüllen. Am Ende darf der Spieler somit eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen, indem er einem der fünf Charaktere eine zweite Chance gewährt. So muss die nunmehr geläuterte Person den Moment des Niedergangs erneut durchleben und ihr Versagen korrigieren. Der alternative Ausgang der Geschichte wird schließlich im Rahmen einer Diashow präsentiert, welche mit den Credits einhergeht.

Ein ehrgeiziges Mädchen auf dem Weg zum Erfolg

Bilder zum Einrahmen

Den Schauplatz des Geschehens bildet jeweils ein detailverliebt dargestelltes Diorama, also eine Art virtueller Schaukasten mit statischen Figuren. Auch der Vergleich mit einem Wimmelbilderbuch drängt sich dem Spieler rasch auf, obwohl Redwoods Kurzgeschichten mitnichten als kindgerecht einzustufen sind. Nach jedem erzielten Fortschritt sind zudem neue Entwicklungen sichtbar. Gebäude werden modernisiert und ausgebaut, Kolonisten schlagen ihre Lager auf, Automobile aus dem vergangenen Jahrhundert verschwinden und ein gewachsenes Publikum bejubelt die Sportlerinnen. Mit einem Mausklick kann der Spieler bequem in die Nahaufnahme wechseln und bessere Einblicke in Räume und Situationen erhaschen. Die von Octavi Navarro mit großer Hingabe gezeichneten Pixelszenarien zeugen von einem beachtlichen Realismus und bringen den Alltag sowie den Leidensweg der Charaktere in allen Facetten zum Ausdruck. Wie aber bereits der Titel des Spiels verkündet, treiben vor allem die Bilder ferner Tage, jene unvergänglichen Erinnerungen, die Handlung voran. Kleine Kunstwerke in Gestalt von Fotografien, die sich der Spieler mit Knobelaufgaben verdienen muss, enthüllen die süßen und die bitteren Momente aus dem Leben unserer Akteure. Doch der berührende Soundtrack von Ben Prunty vermag dem Spieler ebenso zu imponieren. Dieser fokussiert sich auf sanfte, verträumte Melodien, die einen Hauch von Traurigkeit vermitteln und die Atmosphäre ideal unterstreichen. Die Erzähler wurden darüber hinaus von talentierten Synchronsprechern vertont, welche den Protagonisten mehr Persönlichkeit verleihen. Wer übrigens eine Übersetzung benötigt, kann auf deutsche Untertitel zurückgreifen.

Eine von fünf Puzzlevarianten

Rätselketten auf teils hohem Niveau

In jedem Kapitel gilt es, das jeweilige Diorama nach mehr oder minder unscheinbaren Details abzusuchen. Die Richtung gibt hierbei ein Schriftzug auf dem Bildschirm vor, der wie eine persönliche Anmerkung im Fotoalbum anmutet (Beispiel: „Unser Kräutergarten“). Folglich muss der Spieler die zugehörige Szene ausfindig machen und mit der Maus näher heranzoomen. Wurde der Kräutergarten somit von der verborgenen Kamera anvisiert, startet mit dem Blitzlichteffekt auch eine neue Puzzlesequenz. Besagte Rätselpassagen ähneln auf den ersten Blick herkömmlichen Minispielen, appellieren aber eher an die grauen Zellen des Spielers. Sie sind zudem speziell auf die entsprechende Geschichte oder deren Protagonisten zugeschnitten, sodass jede Episode mit einem eigenen Puzzle-Prinzip aufwartet.
So müssen Cleo und der Alchemist in strategischen Zügen durch einen Hindernisparcours geführt werden, dessen Aufbau an ein Schachbrett erinnert. Wenn beide Figuren das gekennzeichnete Zielfeld erreicht haben, ist die Partie gewonnen. Die Rätselketten im dritten Akt basieren auf den Regeln des chinesischen Tangram-Legespiels, sodass unterschiedlich geformte Holzplättchen korrekt anzuordnen sind. Im gemeinsamen Haushalt zweier Hexendamen hingegen sind Zauberkünste gefragt. Unter Einsatz begrenzt verfügbarer Magieelemente, die an bestimmten Positionen freigesetzt und zur Kombination mit Wassertropfen, Wolken, Eiswürfeln oder Blättern angewandt werden können, sind gefährdete Menschen aus ihrer misslichen Lage zu befreien.
Der Schwierigkeitsgrad einer solchen Puzzle-Serie wird stets kontinuierlich angehoben, sodass manchen Spielern nach einiger Zeit die Köpfe rauchen dürften. Insgesamt kann sich die Spieldauer einer Geschichte dadurch auf eine Stunde oder mehr erstrecken. Andererseits fordern nicht alle Kapitel in gleichem Maße, andere lassen sich wesentlich schneller meistern. Die einzelnen Rätselvarianten sind jedoch sehr gut durchdacht und wurden technisch einwandfrei umgesetzt.

Ein geordnetes Familienleben ist keine Hexerei... oder doch?

Fazit: Fünf Menschen wie du und ich

Wir alle begehen hin und wieder Fehler, kleinere sowie größere. Mitunter sehnen wir uns danach, eine in der Vergangenheit getroffene Entscheidung zu revidieren. Diese menschlichen Schuldgefühle und jener Wunsch nach einem Neubeginn bilden das Fundament für Photographs. Deshalb gelingt es Luca Redwood, den Spieler mit seinen Geschichten zu berühren. Seine Protagonisten sind nicht etwa skrupellose Kriminelle oder geborene Antihelden, sondern gewöhnliche, im Grunde sympathische Leute, mit denen sich der eine oder andere zu identifizieren vermag. So besticht das interaktive Drama in fünf Episoden durch seine einfühlsame Erzählweise, die bezaubernde Pixelgrafik und die ebenso stimmige Musikuntermalung.

Galerie

Kommentar des Verfassers

Kommentare

detail

Die Geschichten von Luca Redwood haben mich gefesselt und berührt, was nicht zuletzt der wundervollen Präsentation zu verdanken ist. So verlieh Octavi Navarro den einzelnen Episoden einen einzigartigen Charme. Es gelang ihm, all den schönen und tragischen Erinnerungen Leben einzuhauchen und sie als authentisch anmutende Fotografien aufzubereiten. Auch die einfühlsame Erzählweise und der bezaubernde Soundtrack beeindruckten mich und die wirklich kniffligen Puzzles ließen mich für einige Zeit ratlos zurück. Ein Photographs 2, welches fünf neue Kurzdramen umfasst, würde ich nur allzu gerne spielen.

Redaktions-Wertung

Grafik
Musik
Steuerung
Atmosphäre
Rätsel

Gesamt

Pro
Contra
  • fünf berührende Geschichten
  • authentische Charaktere
  • schöne Präsentation
  • bezaubernde Pixelgrafik
  • stimmungsvolle Musikuntermalung
  • knifflige und gut durchdachte Puzzles...
  • … deren Schwierigkeitsgrad in manchen Kapiteln deutlich niedriger angesetzt ist